Ein unerwartetes Ende

Beim Abendessen in der Fjällstation kann ich zwei Portionen extra Brot mit Butter und eine zusätzliche Beilage ergattern. Drei Gänge und unzählige Kalorien später falle ich erschöpft ins Bett. Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg zum Supermarkt. Dort treffe ich mich mit Romy, die aufgrund der norwegischen Einreisebedingungen in Abisko gestrandet ist. Ihr Freund Kai ist zu Besuch und das macht die Lage nicht gerade einfacher. Ziemlich schnell finden wir den Konsens dass wir dennoch die legale Einreise versuchen möchten. Mit einem illegaler Grenzübertritt möchten wir unsere Reise nicht beenden. Wir buchen eine Unterkunft für die Quarantäne in Narvik, registrieren unsere Einreise nach Norwegen und buchen den Zug an die Grenze.

Am nächsten Morgen bin ich angespannt aber auch optimistisch. Ich laufe von Abisko in Richtung Grenze und warte in Björkliden auf den Zug. In Riksgränsen angekommen machen wir uns zu Fuß auf den Weg zum Grenzübertritt am Bjørnfjell. Bei der Zollkontrolle erfahren wir dass der Polizeicheckpoint 20 km im Landesinneren liegt. Nach einigen vergeblichen Versuchen zu Trampen können wir schließlich ein Taxi stoppen dass uns zur Grenzkontrolle bringt. Als wir aussteigen werden wir sogleich auf die andere Straßenseite gewunken. Zuerst wird Kai kontrolliert. Als doppelt Geimpfter darf er passieren. Dann sind Romy und ich an der Reihe. Wir zeigen den QR-Code unserer Einreiseregistrierung und erzählen dass wir in Quarantäne gehen wollen. Wir bekommen prompt die Antwort: “No!”´. Wir sind irritiert. Der Beamte erklärt dass die Einreise für Ungeimpfte für touristische Zwecke nicht erlaubt ist. Die Online Informationen diesbezüglich sind lückenhaft und man müsse den norwegischen Gesetzestext studieren um das herauszufinden.

Ich fühle mich leer. Es bricht gerade eine Welt zusammen. Orientierungslos stehen wir am Straßenrand und wissen nicht wie es weitergeht. Ich rufe Daniela an und tue mich schwer die Situation in Worte zu fassen. Als Anwältin möchte sie direkt das Gesetz gegenlesen, doch die Position des Polizisten war klar und deutlich. In kurzen Abständen verspüre ich die unterschiedlichsten Emotionen. Wut, Trauer, Ohnmacht und dann wieder Leere. Es ist komisch wie das Ziel, dass mich über Monate so motiviert hat nun in unerreichbare Ferne rückt. Die Freiheit auf dem Trail endet sang- und klanglos an einer Staatsgrenze im Nirgendwo. Wir versuchen nochmal eine Impfung in Schweden zu bekommen. Mit dem Johnson & Johnson Vakzin braucht es nur eine Dosis. Strohhalme, an die wir uns klammern. Wie auch schon bei meinen Versuchen zuvor werden wir abgewiesen. Ohne schwedische Personennummer ist da nichts zu machen.

Wir nehmen das Taxi zurück nach Riksgränsen und von dort den Zug nach Kiruna. Die Stimmung ist angeschlagen. Wir teilen uns ein Hostel und gehen Essen. In Bewegung zu bleiben ist eine gute Ablenkung und ich bin dankbar, dass ich die Erfahrung mit Romy teilen kann. In der Nacht wache ich auf. Meine Gedanken rasen und mir ist schlecht von den drei Glas Bier am Vorabend. Dann nutze ich die wachen Stunden im Bett und buche die Rückfahrt nach München. Mit dem Nachtzug nach Stockholm und dann über Malmö, Kopenhagen und Hamburg zurück nach München. Insgesamt sitze ich 40 Stunden im Zug. Die Rückfahrt ist unspektakulär. Der Corona Test, den ich für die Einreise nach Deutschland benötige und für den ich 135 € gezahlt habe, wird nicht einmal kontrolliert.

Zurück in München regt sich wieder Hoffnung. Ich lasse mich noch am selben Tag impfen. Mit Johnson & Johnson könnte ich nach zwei Wochen in Norwegen einreisen und den Thruhike beenden. Voller Motivation plane ich die Route um, prüfe Flüge nach Norwegen und verkünde großspurig dass ich die Reise beenden werde, koste es was es wolle.

Bei der Ausarbeitung der Details stolpere ich nochmal über die norwegischen Einreisebedingungen. Entgegen der Regelungen der EMA weicht Norwegen hier ab. Der vollständige Impfschutz von Johnson & Johnson wird erst drei Wochen nach der Impfung anerkannt. Damit könnte ich erst Ende September weiterwandern und werde wohl bis Mitte Oktober unterwegs sein. Den Oktober habe ich aber für den Urlaub mit meiner Freundin reserviert. Zudem benötigte ich neue Winterausrüstung, muss erneut An- und Abreise bezahlen und blase unnötige CO2 Emissionen in die Luft.

Ich beschäftige mich lange mit der Frage ob es das Ganze wirklich wert ist. Mein Mantra war immer: “Keinen interessiert warum du ein Ziel nicht erreicht hast!” Es zähle allein der Erfolg. Und entsprechend dieser archaischen Prämisse habe ich immer gehandelt und mich angetrieben. Entsprechend wenig Glücksmomente fanden sich in meinem Alltag. Hatte ich ein Ziel erreicht, wurde sofort das Nächste definiert. Gedanklich war ich immer schon bei den nächsten Projekten. Wer mich kennt weiß das ich manchmal mürrisch, kritisch und leicht abwesend wirke. Das liegt daran dass ich wohl letztlich nicht zufrieden mit mir selbst bin.

Wenn mich diese Reise eines gelehrt hat, dann dass ich die glücklichsten Momente hatte, als ich die Gegenwart genießen konnte. Wenn ich leichten Schrittes ohne Ablenkung durch die Natur gewandert bin. Ich nehme mir vor diese Momente mit in den Alltag zu überführen. Würde ich mich weiter an das Ziel klammern, würde ich wahrscheinlich wieder in der alten Schleife landen. Die zweite Erkenntnis ist dass ich nicht der Einzelgänger bin, der ich immer dachte zu sein. Die Monate die ich alleine unterwegs war, haben mich meine Liebsten schmerzlich vermissen lassen und der Gedanke die letzten Wochen zum Nordkap alleine zurückzulegen spornt mich nicht besonders an.

In diesem Sinne beende ich vorerst die Wanderung an das Nordkap. Eines Tages werde ich den letzten Abschnitt sicherlich zurücklegen.


Statistiken

Zeitraum: 1. April - 22. August (144 Tage)

Zurückgelegte Strecke: 4300 km

Nero Days: 8

Zero Days: 11

Verletzungspause: 15 Tage

Durchschnitt: 30 km

Durchschnitt ohne Zero Days: 36 km

Längster Tag: 65 km

Längster Abschnitt ohne Dusche und Wäsche waschen: 8 Tage


Besonderer Dank geht an

Tobi, für die vielen Telefonate und ehrlichen Meinungen,

Andreas für den Bleibe in seinem Erlebnisgarten,

Familie Weberndorfer für das tolle Abendessen und das warme Zimmer im eiskalten Franken,

Julia & Domi für das Bett und die interessanten Gespräche,

Norbert & Lars für den gemütlichem Abend am Lagerfeuer,

Mario & Enzio für das gutes Essen, die Denkanstöße und das kostenlose Gästezimmer,

Bastian für den lecker Kuchen auf dem Döbraberg,

Hans für den gemütlichen Abend vor dem rauchenden Kamin,

Sascha für die Couch und die kleine Party,

Christian für BBQ & Beer,

Familie Arndt für die Ferienwohnung während ich mich von meiner Verletzung erholte,

Yannick & Björn für die technische Unterstützung mit meinem Garmin,

Camilla für die spontane Trail Magic und die anregende Gespräche,

das nette Café in Halland für gratis Kaffee und Kuchen,

Michael für die kleine Midsommar Party mit Burgern und Bier,

Monalie & Lars für die Trail Magic in Karlsborg,

die dänische Reisegruppe auf dem Berglagsleden für das lecker Essen,

André für den frischen Barsch und den Abend am See,

Mark für den zynischen Humor im besten Hostel von Schweden,

Laura, Siri, Mikkel, Luise und Lauritz für den tollen Abend im Fullufjell

Laura & Benny für die Unterstützung auf der Via Suecia,

die namenlose Schweizer für die dringend benötigten Rationen,

Elisabeth, Per-Erik und Black für die Stunden die wir gemeinsam gewandert sind,

Franz für die gemeinsamen Etappen,

Ruth für das gemeinsame Lagern unter dem Regenbogen,

Romy & Kai für das geteilte Leid in Abisko!

Und natürlich geht mein Dank an Familie, Freunde und alle die ich vergessen habe! Vielen Dank für die wahnsinnige Unterstützung und dass ihr meine Trail Family wart.

Zuletzt möchte ich Daniela danken, für die täglichen Telefonate, die tröstenden Worte in depressiven Momenten, die ganzen Versorgungspakete und die Freiheit, die sie mir für meine irrsinnigen Vorhaben gibt.

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Sprint nach Abisko