Höher, weiter, schneller!

18. - 27. Juli, Södra Kungsleden

Ich schlage mein Zelt im Windschatten einer Rasthütte auf. Die Nacht ist empfindlich kalt. Es wird Zeit dass ich meinen Quilt gegen einen wärmeren austausche. Trotzdem schlafe ich einigermaßen erholsam und breche zu einer mit 25 km eher kurzen Etappe auf. Nach zehn Tagen und 400 km merke ich dass meine Beine nicht mehr ganz so spritzig sind. Das Wetter ist schön. Es ist Wochenende und entsprechend viele Tagestouristen sind unterwegs. Ich verpasse eine Abzweigung und laufe eine Stunde in die falsche Richtung. Auf diese Weise wird auch ein kurzer Tag zu einer Herausforderung. Die zusätzlichen Höhenmeter ziehen den letzten Rest Kohlenhydrate aus den Glykogenspeichern. Gottseidank habe ich extra viel Verpflegung eingekauft und so mache ich in einer Rasthütte Pause. Dort treffen ich zwei Deutsche. Es stellt sich heraus dass sie im selben Hostel wie ich untergekommen sind. Sie meinen der Abstieg ist sumpfig. Mir ist das egal. Hauptsache absteigen, duschen und schlafen, denke ich mir. Als sie das Gespräch in Richtung Corona lenken wollen, offensichtlich ein neues deutsches Lieblingsthema, verabschiede ich mich schnell.

Ich komme gut voran, aber nach ein paar Kilometern passiert etwas komisches. Obwohl ich eigentlich bestens gelaunt und voller Vorfreude auf den Pausentag bin, spüre ich unvermittelt tiefen Trauer und mir steigen Tränen in die Augen. Zehn Minuten später ist der emotionale Ausbruch auch schon wieder vorbei. Den restlichen Abstieg rätsele ich was da gerade passiert ist.

Kurz vor meinem Ziel wird es tatsächlich sumpfig. Dreckig wie ich bin stapfe ich durch den knöcheltiefen Morast.
Ich passiere eine Brücke und rufe im Hostel an. Mark, der Herbergenvater, hatte mir angeboten mich vom Trail abzuholen. Das Angebot schlage ich natürlich nicht aus. Als Thruhiker vermeide ich wenn möglich jeden zusätzlichen Kilometer, sofern ich mich nicht gerade verlaufe. Am Parkplatz angekommen winkt mir Mark und imitiert meinen Stockeinsatz. Mark ist Brite. Sein Humor ist trocken. Dass ich Deutscher bin gibt Minuspunkte. Die Pluspunkte für meine Wanderung gleichen das aber wieder aus.

Im Hostel erwartet mich im ein Versorgungspaket von zuhause. Eine neue Powerbank mit 20.000 mAh , ein Stecker mit drei Anschlüssen zum parallelen Laden von Powerbank, Smartphone und GPS Gerät, neue Innensohlen und Socken, ein selbstgenähter Regenrock von Alex, zusätzliche Heringe für das Fjäll und jede Menge Schokolade. Eine Tafel verputze ich sofort und mache mich dann an meine Hausaufgaben. Ich werfe meine Wäsche in die Waschmaschine und mich selber unter die Dusche.

Im Anschluss möchte ich mir ein köstliches Nudelgericht zubereiten. Aber die Küche ist bereits voll belegt. Eine große dänische Reisegruppe werkelt eifrig am Abendessen und ich werde auf eine halbe Stunde später vertröstet.
Als ich zum zweiten Versuch zurück in die Küche komme werde ich kurzerhand zum Abendessen eingeladen. Meine deutsche Zurückhaltung habe ich schon lange abgelegt und so setze ich mich fröhlich an die lange Tafel. Natürlich bin ich und meine Reise das Gesprächsthema und werde entsprechend ausgefragt. Dennoch schaffe ich es mehrere Portionen leckere Fischlasagne zu ergattern während ich routiniert über meine Reise berichte.

Ich gehe früh ins Bett. Ohrstöpsel und Schlafmaske lassen mich bis zum späten Vormittag schlafen. Nach dem Frühstück mache ich mich an die Arbeit die letzten 11 Tage in meinem Blog zu dokumentieren. Zwischendurch unterhalte ich mich mit Mark und den Dänen. Der jüngere Teil der Gruppe möchte am nächsten Tag in einer der Hütten im Fullufjället übernachten. Da die Hütte auf meinem Weg liegt verabreden wir uns unverbindlich.

Am nächsten Morgen checke ich aus. Mark macht mir einen Freundschaftspreis und bringt mich zurück zum Trail. Langsam gehe ich die ersten Schritte mit den neuen Einlagen und horche in meinen Körper. Die neuen Socken fühlen sich an als ob sie an der Ferse reiben, die Einlagen drücken ein bisschen. Ich schnüre die Schuhe lockerer. Ein paar Kilometer später sind alle Bedenken vergessen und ich steige in alter Manier hoch zum Fjäll. Dort verlasse ich den Trail und laufe Querfeldein. Ewige Weite und meine gute Laune laden zum Fotografieren ein.

An einem Bach bereite ich mein Abendessen zu. Ich fülle einen leeren Röstzwiebelbehälter zur Hälfte mit Couscous und Wasser und verstaue den Behälter in der Seitentasche meines Rucksacks. Bis zum Abendessen sollte der Couscous aufgequollen sein. Nachdem ich mit dem Mise en Place fertig bin, peile ich grob die Hütte an in der die Dänen übernachten wollten. So ganz sicher bin ich mir aber nicht. Die schwedischen Namen bleiben mir noch immer nicht so richtig im Gedächtnis hängen. Tatsächlich sitzen sie aber dort im warmen Abendlicht beim Abendessen. Sie haben indisches Dal gekocht. Ich verfeiner den mittlerweile aufgequollenen Couscous mit einer schwedischen Gemüsesuppe aus der Tüte, Röstzwiebeln und Olivenöl und geselle mich zu ihnen.

Als wir durch den kalten Wind auszukühlen drohen ziehen wir uns in die Hütte zurück. Wir würfeln und unterhalten uns. Es fühlt sich an wie ein Abend unter Freunden.

Wir verabschieden uns schon vor dem Schlafengehen. Ich muss früh raus. Jesper hat mir geschrieben und meint wenn ich die nächsten drei Tage jeweils 45 Kilometer laufe würde ich aufschließen.

Pünktlich breche ich am nächsten Morgen auf. Die Kilometer sausen an mir vorbei. Das Wetter ist nicht zu warm. Ich durchquere das Fjäll und steige in das nächste Tal ab. Zur nächsten Hütte sind es 29 km. Ich mache einen kurzen Mittagsschlaf und laufen weiter. Es geht wieder Aufwärts. Ich begegne Deutschen mit riesigen Rucksäcken. Die beiden sind sprachlos ob meiner Geschichte. Ich nutze die Gesprächspause und verabschiede mich schnell. 15 Minuten später treffe ich einen Schweden mit Hund. Er hat drei Tage niemanden gesehen und hat Redebedarf. Wohl auch sein Hund, der mich fast die ganze Zeit ankläfft bis er merkt dass von mir keine Gefahr ausgeht. Ich tue den beiden den Gefallen. Obgleich wir uns sympathisch sind und der Rastplatz verlockend aussieht - vor der Schutzhütte flackert schon ein Lagerfeuer - ist mein Tagesziel noch nicht erreicht. Also laufe ich weiter. Ich bereite meinen Couscous vor und ein Schwarm Mücken stürzt sich auf mich. Ich balanciere über Holzbalken, stapfe durch Sumpf und hüfthohes Gras und schließlich bin ich bei der Hütte, die ich mir als Tagesziel ausgesucht habe. Ich hab sie für mich alleine. Das GPS Gerät zählt mit 53 km einen neuen Highscore. Ich esse zu Abend, putze Zähne und falle erschöpft ins Bett.

Am Morgen bin ich zwar müde aber ansonsten fühlt sich alles gut an. Ich plane für heute 47 km. Ich steige nach Flötningen ab. Der Supermarkt hat wie erwartet geschlossen, da die Hauptkundschaft aus Norwegen aufgrund der geschlossen Grenze nicht zum einkaufen kommt. Ich mache ein Nickerchen unter dem Vordach und laufe weiter. Mein Weg führt mich hauptsächlich über Schotterstraßen. Vor einer Hütte treffe ich ein Pärchen aus der Schweiz. Mir wird bewusst dass ich mittlerweile ganz ansehnliche Etappen zurücklege als ich durch ihren Wanderführer des südlichen Kungsleden blättere. Hier wird von Etappenlängen von 17 bis 20 Kilometern ausgegangen. Ich löffele meinen Couscous und mache mich dann auf die letzten 10 Kilometer bis kurz vor Grövelsjön zurückzulegen. Endlich wieder Waldwege, freue ich mich. Kurz darauf sind meine Füße wieder nass. Im Wald schlage ich schließlich mein Lager auf. Ich flüchte vor den Mücken in das Zelt und schlafe direkt ein.

Am Morgen kann ich ausschlafen. Der Supermarkt kurz vor Grövelsjön öffnet erst um 10 Uhr. Gemächlich mache ich mich auf den Weg. Ich fotografiere einen Wasserfall als meine Schwester anruft. Ich schreibe dass ich gleich zurückrufe und knipse ein paar Bilder. Ein wenig später möchte ich zurückrufen. Doch das Handy ist weg. Schon das zweite mal auf meiner Reise. Kurz macht sich die Panik breit. Liegt mein Handy womöglich im Fluss oder haben andere Wanderer das Handy eingesteckt? Schnell sprinte ich zurück zum Fluss und finde das iPhone in der Böschung am Weg.

Ich bin erleichtert und rufe meine Schwester an. Wir telefonieren lange während ich einkaufe. 750g Käse, Burgerbrötchen, Schokolade und Proteinriegel sollten mich bis bis nach Hamra in zwei Tagen bringen. Couscous und Müsli habe ich noch ausreichend.

Anschließend folge ich der Straße hinauf zur Fjällstation. Es ist Samstag und so sind viele Tagestouristen im Fjäll unterwegs. Der Parkplatz ist komplett belegt, der Speisesaal ist aber leer. Da ich STF Mitglied bin kostet mich das Mittagsbuffet nur 12 €. Während meine Geräte laden, verdrücke ich vier große Portionen Gemüse- und Fischauflauf, Paella und verschiedene Salate. Ich schreibe mit Jesper und es stellt sich heraus dass wir uns um einen Tag verkalkuliert haben. Einen weiteren Tag schaffe ich nicht aufzuholen. Also habe ich zumindest keine Eile auf den nächsten zwei Etappen.

Hier in Grövelsjön beginnt das Gröna Bandet (Grüne Band). Jeder Wanderer sucht sich auf der ungefähr 1300 km langen Strecke nach Treriksröset (Dreiländereck zwischen Schweden, Finnland und Norwegen) einen eigenen Weg durch das schwedische Gebirge zum nördlichsten Punkt von Schweden. Ich bin euphorisiert als ich diesen neuen Wegabschnitt erreiche und erinnere mich an das Gefühl. Bisher hatte ich es verspürt als ich nach dem Rennsteig auf den E6 abbog und zu Beginn der Schweden Durchquerung in Smygehuk.

Ich nutze den Energieboost und der Anstieg zum Fjäll liegt bald hinter mir. Da es auch schon Nachmittag ist begegne ich kaum anderen Wanderern. Der Trail ist wunderbar abwechslungsreich. Nach dem Anstieg führt der Weg lange über ein Hochplateau, danach wieder hinunter an einem See entlang und durch ein Geröllfeld wieder über die Baumgrenze. Es ist anstrengend eine Pfad durch das zerklüftete Gelände zu suchen. Trotzdem bin ich motiviert und als sich der Himmel langsam färbt, will ich gar nicht mehr aufhören zu laufen.

Ich erklimme den nächsten Berg, es ist bereits 10 Uhr abends, und ich blicke auf einen wunderschönen Sonnenuntergang, der sich im Rogen See spiegelt. Dort schlage ich schließlich auch mein Zelt auf. Es ist windstill und warm, ansonsten würde ich mir eine nicht ganz so exponierte Stelle suchen.

Am nächsten Morgen steige ich ab. Der Pfad führt durch das Tal, dass im Abendlicht so idyllisch ausgesehen hat. Doch der Weg hat es in sich. Es ist heiss und der steinige Weg bremst mich ab. Den ganzen Tag muss ich mich ziemlich konzentrieren. Ab und zu vereinfachen Plankenpfade das vorankommen.

Am Nachmittag treffe ich einen ziemlich erschöpften Leipziger. Er fragt mich wie das Wetter wird und wo man wieder einkaufen kann. Insgesamt wirkt er sehr unvorbereitet. Er trägt nur einen Biwaksack zum Schlafen mit sich und keinen anderen Wetterschutz. Er weiß nichts über die kommenden Etappen, Schutzhütten oder Einkaufsmöglichkeiten. Geduldig beantworte ich seine Fragen und wünsche ihm viel Erfolg. Am Abend führt mich der Trail endlich wieder aus dem Tal auf die nächste Anhöhe. Dort spricht mich eine Thüringerin an, die wesentlicher erfahrener scheint und mit leichtem Gepäck unterwegs ist. Wir unterhalten uns aber mich zieht es weiter. Es ist mir noch zu früh um mein Zelt aufzuschlagen und so wirklich stimmt die Chemie auch nicht.

Wenn ich mehrere Tage unterwegs bin ohne ein Menschenseele zu treffen, dann wehe dem der mir begegnet. Ich höre dann gar nicht mehr auf zu quasseln. Sobald sich aber die Begegnungen häufen bin ich wesentlich wählerischer was meine Gesprächspartner angeht. So auch heute. Die Gesellschaft der Dänen wirkt immer noch nach und ich habe keinen Bedarf die immer gleichen Gespräche über Ausrüstung, Etappen und das Wetter zu führen.

Im Abendlicht laufe ich über das Fjäll. Der Trail lässt mich hier wieder schneller vorankommen und Rentiere begleiten mich. Kurz vor dem Abstieg nach Hamra schlage ich mein Zelt auf.

Am Morgen mache ich mich an den Abstieg. Ich kürze den Weg ab und klettere querfeldein durch Gestrüpp und Geröll. Danach steige ich über eine Skipiste hinab nach Hamra. In einer Hotellobby trinke ich Kaffee, lade mein Handy und plane die nächsten Tage. Am 30. sind Trail Days in Åre, ein Promotion Event für die Via Suecia und den Kungsleden. Ich bin dort mit Benny, dem Initiator der Via Suecia verabredet. Das bedeutet ich habe alle Zeit der Welt für den nächste Streckenabschnitt.

Nachdem ich für die nächsten vier Tage eingekauft habe, folge ich dem Tal nach Fjällnas und steige von dort wieder auf zum nächste Fjäll.

In der Ferne kann ich bereits das Helagsfjället ausmachen, den mit 1796 Metern höchsten Berg von Schweden, südlich des Polarkreises. Nach knapp 30 Kilometern schlage ich ungewohnt früh mein Zelt auf. In einem Fluss wasche ich mich und schlüpfe anschließend in meinen Quilt. Am Morgen werde ich von Mücken gejagt bis sie der aufkommende Wind verjagt. Bereits Mittags erreiche ich nach 27 km die Fjällstation am Fuße des Helagsfjället. Im Umkreis der bewirtschafteten Hütte tummeln sich hunderte Zelte. In der Gaststube trinke ich Bier und Kaffee. Unsicher ob ich vom Alkohol oder Koffein berauscht bin suche ich mir abseits des ganzen Trubels einen windgeschützten Zeltplatz. Mir ist langweilig während ich den Nachmittag abwarte. Ich dehne mich und packe dann für den abendlichen Aufstieg zum Helagsfjället. Ich bin aufgeregt. Es ist der erste Berg den ich seit langem besteige. 800 Höhenmeter auf 4 km. Um 9 Uhr breche ich auf. Mit ungewohnt leichtem Gepäck bin ich bald auf dem Gipfel und habe ihn für mich alleine.

Ich weiß dass das Licht nach Sonnenuntergang noch schöner wird, doch heute siegt der Thruhiker über den Fotografen. Ich habe Hunger und bin müde. Also kehre ich zum Basislager zurück, esse zu Abend und schlüpfe zufrieden in meinen Quilt.

Am kommenden Tag breche ich erst mittags auf. Ich bin gut erholt und laufe 40 km ohne größere Pause. Ich höre den letzten Band Harry Potter und fühle mich seltsam einsam und gerührt. Immerhin haben mich Harry Potter und meine Kindheitserinnerungen die letzten vier Wochen auf dem Trail begleitet. Falls Jemand Hörbuch Tipps hat nur her damit.

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