Querfeldein

28. Juli - 5. August, Gröna Bandet (Åre - Gäddede)

Kurz hinter der Fjällstation Vålådalen schlage ich mein Zelt auf. Auf der frisch gemähten Wiese stehen schon ein paar andere Zelte. Ich bin mir nicht sicher ob ich hier umsonst bleiben darf aber es ist schon spät und es gibt Niemanden den ich fragen könnte. Wenig später schlafe ich auch schon tief und fest.

Es ist 6 Uhr als ich aufwache. Schnell esse ich mein letztes Müsli und breche auf in Richtung Åre. 38 km auf Asphalt. Ich lege die Strecke ohne größere Pausen zurück. Kurz vor Åre würde die Route wieder in die Berge führen. Praktischerweise gibt es genau hier eine Bushaltestelle. Während ich noch versuche die schwedische App zu übersetzen kommt auch schon der Bus. Ich benötige die ganze Fahrt bis Åre um ein Ticket zu lösen. Auf den letzten Metern zum Hostel erwischt mich ein Wolkenbruch. Ich frage mich wie lange mein Glück noch halten wird. Bis jetzt konnte ich noch jedes Unwetter in einer Unterkunft aussetzten. Der erfrischende Regen wäscht mir den Schweiß von der Haut. Die Hauptwäsche erledige ich im Hostel. Mit klammen Klamotten esse ich in der nächsten Pizzeria zu Abend und gehe früh ins Bett.

Nach einem ausgedehnten Frühstück muss ich auch schon wieder auschecken. Am Abend kann ich bei Laura und Benny, der Gründer der Via Suecia, schlafen. Bis die beiden aber die Anreise nach Åre hinter sich gebracht haben, lungere ich in dem großen Skiort herum, den man so auch in Österreich finden könnte. Hotels reihen sich an Restaurants und Bars und eine Gondel führt zum nahen Skigebiet. Lange sitze ich in einem Café, suche dann Schutz vor dem Regen in der Bahnhofslobby und lande schließlich in einer Bar. Das lokale IPA schmeckt mir und ich bin schon recht angeheitert als mich Benny anruft.

Am Bahnhof treffen wir uns. Benny hat einen stechenden Blick, militärische Haltung, massive Waden und eine sehr ruhige sympathische Art. Wir verstehen uns. Das Auto ist bis zum Dach mit Standmaterial für die Trail Days bepackt. Am Wochenende findet ein Ultra Marathon in Åre statt und Benny nutzt die Gelegenheit um den Trail zu promoten. Im Haus angekommen erwartet uns Laura. Wir kennen uns bereits aus Smygehuk. Benny und ich trinken Bier und besprechen den Trail. Es ist noch viel geplant. Um zum Beispiel den Straßenabschnitt von Vålådalen bis Åre zu vermeiden möchte Benny eine Art Seilrutsche über den Fluss bauen. Somit könnte fast der ganze Abschnitt von der Straße auf Singletrails verlegt werden. Während wir uns unterhalten kocht Laura Bolognese zu Abend. Benny und Laura essen jeweils eine Portion, ich esse vier. Wir alle sind müde von der langen Anreise und gehen früh schlafen. Am Morgen bringt mich Benny zurück zu der Stelle an der ich den Bus nach Åre genommen hatte.

Irgendwie fühle ich mich nicht wirklich erholt. Der Rucksack ist schwer. Die Fußsohlen stechen. Langsam marschierte ich die Serpentinen entlang bis der erste Anstieg hinter mir liegt. Es ist wesentlich kälter geworden mit Tagestemperaturen von um die 10 Grad. Nachts soll es bis vier Grad abkühlen. Mein Quilt reicht bis fünf Grad, mehr oder weniger geschlafen habe ich damit schon bei null Grad.

Die Via Suecia würde die nächsten 90 km über Straße führen. Aber es gibt eine Abkürzung die durch teils wegloses Gelände führt. Meine Füße nehmen mir die Entscheidung ab und bald stapfe ich durch sumpfiges Marschland. Irgendwann erreiche ich wieder eine Schotterstraße, welcher ich lange folge bevor es mich wieder querfeldein in einem sumpfigen Wald verschlägt. Ich kämpfe mich durch das dichte Gestrüpp. Zurück auf einer Schotterstraße schlage ich versteckt hinter Büschen mein Zelt auf. Trotz der Kälte schlafe ich gut.

Als ich morgens wieder die Schotterstraße betrete erspähe ich in unmittelbarer Nähe ein Zelt. Aus dem Zelt kriecht ein anderer Gröna Bandet Wanderer, der in entgegengesetzter Richtung unterwegs ist. Kurz unterhalten wir uns. Er kündigt mir einen weiteren Tag voller Schotterstraßen und Bushwhacking an. Zunächst laufe ich über Schotter und Asphalt bis nach Olden. Hier soll es einen berühmten Trailangel geben. Um ihn zu besuchen ist es aber zu früh und den Umweg möchte ich auch nicht gehen. Also biege ich auf eine weitere Schotterstraße ab. Als ich am Wegesrand pausiere, beobachte ich einen Fuchs der fröhlich in meine Richtung spaziert. Bis wenige Meter nähert er sich bis er mich bemerkt und reiß aus nimmt. Offensichtlich verschmilze ich mittlerweile mit meiner Umgebung.

Irgendwann endet die Schotterstraße im Nirgendwo und ich folge meinem GPS Gerät durch Marschland und Wald. Mitten im Nirgendwo treffe ich auf Jäger die ihre Hunde für die Elchjagd trainieren. Ich staune nicht schlecht als sie erzählen dass sich nur wenige Hundert Meter weiter das Privatgrundstück von Zlatan Ibrahimović befindet. Standesgemäß reist er natürlich regelmäßig mit dem Helikopter an. Über diesen Irrsinn sinnierend stapfe ich weiter durch den Sumpf, natürlich nachdem ich mir die GPS Koordinaten notiert habe.

Es ist spät und es ist kalt. Das Gute an dem kühlen und bewölkten Wetter ist, dass kaum Mücken unterwegs sind. Die einzige Straße im Umkreis von 50 km führt zu einem Hotel. Da ich mich mangels Empfang nun zwei Tage nicht mehr bei Daniela melden konnte frage ich in der Lobby ob ich das WLAN nutzen darf. Der Eigentümer ist freundlich und hilfsbereit. Ich darf es mir in der Lobby bequem machen und kostenlos vor dem Hotel zelten. Kurz vor Sonnenuntergang lässt sich die Sonne doch noch blicken.

Als ich am Morgen aufbreche befürchte ich wieder querfeldein laufen zu müssen. Jedenfalls zeigt mein Kartenmaterial keinen anderen Weg. Doch zu meinem Glück gibt es einen einigermaßen trockenen Trail, dem ich die nächsten 20 km folge. Durch den schlechten Empfang der letzten Tage habe ich verpasst die Öffnungszeiten des nächsten Supermarktes zu überprüfen. Als ich wieder Netz habe muss ich feststellen dass der Supermarkt schon am frühen Nachmittag schließt. Das schaffe ich nicht mehr. Ich setze mich an einen Fluss und begutachte meinen Proviant. Die Inventur ergibt zwei Schokoriegel und eine Portion Couscous. Satt werde ich davon nicht. Hungrig sitze ich am Fluss und betrachte das tosende Wasser. Zunächst glaube ich sie mir einzubilden, aber dann meine ich Stimmen auszumachen. Und siehe da, aus dem Wald am Rand des Flusses winkt mir ein Mann. Barfuß hüpfe ich über die Steine zur Böschung am Flussufer. Er ist begeistert von meiner Reise. Leider kennt er auch keine andere Einkaufsmöglichkeit in der Nähe, doch sein Rucksack ist prall gefüllt. Als wir uns verabschieden bin ich bepackt mit Obst, Nüssen und Schokolade. Alles fügt sich, “The trail provides!”.

Als ich das Naturschutzgebiet verlasse führt mich mein Weg wieder auf Straßen. Im Abendlicht laufe ich noch 20 km bevor ich kurz vor dem nächsten Ort mein Zelt aufschlage.

Pünktlich, kurz nach Ladenöffnung, stehe ich am nächsten Morgen vor dem Supermarkt in Valsjöbyn. Dort treffe ich auf Elisabeth, Per-Erik und ihren Hund Black, die auch das Gröna Bandet wandern. Die drei sind ein bisschen in Eile. Der Trail ruft sie und so verabschieden wir uns vorerst. Ich werde sie sicherlich einholen.

Ich bin ausgehungert und so mache ich es mir mit Brotzeit und Kaffee an einem kleinen Ecktisch gemütlich. Gute zwei Stunden lungere ich im Supermarkt herum bis ich mich auf den Weg mache. Dieser führt mich über Schotter hoch in das Fjäll. Nach zweieinhalb Stunden treffe ich das Trio wieder und wir wandern eine Weile gemeinsam. Der GPS Track führt querfeldein durch die letzen Bäume unterhalb der Baumgrenze, bis sich das Gelände wieder öffnet. Wir folgen weiter einer Geländewagen Spur durch das Fjäll. Es ist schön Gesellschaft zu haben. Mal wieder sind sie ganz interessiert wie man mit so wenig Ausrüstung wandern kann. Ich bin fasziniert wie man mit zwei Wanderstöcken und dem Hund an der Leine nicht die Balance verliert.

Nachmittags muss ich mich verabschieden. Ich habe nur Lebensmittel für zwei Tage eingekauft und in dem gemächlichen Tempo würde ich es nicht rechtzeitig zum nächsten Ort schaffen. Da ich in Gäddede aber eh einen Pausentag einlege, verabreden wir uns auf dem Campingplatz.

Am Nachmittag laufe ich durch das Kalfjäll und genieße die beeindruckenden Ausblicke im Abendlicht. Kurz nach Sonnenuntergang schlage ich mein Zelt auf und bemühe mich ein windgeschützten Platz zu finden. Die Nacht ist kalt. Der Wind pfeift aber nicht durchs Zelt.

Am Morgen breche ich auf in Richtung Gäddede. Ich verliere mehrmals den Trail und laufe querfeldein. Das Gestrüpp kratzt mir die alte Haut von den Unterschenkeln. Dann folge ich einem schönen Waldpfad, der mich zu einem Wasserfall führt. Es ist Mittags und überall sind Touristen. Ich knipse ein paar Fotos und nehme dann schnell reiß aus. Mein Fluchtweg ist die Schotterstraße, die aus dem Tal hinauf zum Wasserfall führt. Ein Wohnmobil nach dem anderen rast an mir vorbei und ich ziehe mir das Buff über Mund und Nase um mich vor dem Staub zu schützen. Die Schotterstraße ist 10 km lang. Als die Straße in Asphalt übergeht bin ich erleichtert. Nach weiteren 15 Kilometern schaue ich auf mein GPS Gerät und staune nicht schlecht. Ich bin heute 42 km in 8 Stunden mit nur 34 Minuten Pause gelaufen.

Als Via Suecia Wanderer kann ich eine Nacht umsonst auf dem Campingplatz in Gäddede bleiben. Ich baue mein Zelt auf, gehe duschen und besuche dann das Restaurant. Ich bestelle mir eine doppelte Portion. Zufrieden und satt lege ich mich schlafen.

Am nächsten Tag kommt das Paket aus Deutschland an. Mein warmer Quilt, eine Isolationsjacke und Flieshandschuhe. Damit sollte ich durch den skandinavischen Herbst kommen. Ich gehe einkaufen und schicke ein paar andere Ausrüstungsgegenstände nach Hause. Inklusive Kamera bin ich nun bei 5.8 kg Basisgewicht. Ein wenig schwerer als zuvor aber immer noch leicht genug. Ich wasche meine Wäsche und mache es mir dann im Aufenthaltsraum auf der Couch bequem. Ich möchte weiter am Blog schreiben aber mein Kopf ist leer. Ich bin unkreativ und unzufrieden. Meine Gedanken kreisen um den Trail. Es sind weniger als 1300 km zum Nordkap, nur noch 700 km wenn die Einreise nach Norwegen nicht möglich ist. Das heißt ich habe nur noch ein bis eineinhalb Monate bis zum Ende meiner Reise. Wehmut macht sich breit. Um mich abzulenken packe ich in Gedanken schon einmal den Rucksack für den CDT.

Am Nachmittag treffe ich die drei Gröna Bandet Wanderer wieder. Beziehungsweise sehe ich ihr Zelt und höre leichtes Schnarchen. Am Abend bin immer noch zerstreut und kann nicht schlafen. Bis kurz nach Mitternacht liege ich wach und schaue Filme.

Am nächsten Morgen möchte ich mich verabschieden. Aber wir alle haben viel Redebedarf. Es ist bereits Nachmittag als ich mich endlich losreiße. Eine Straße führt mich hoch zum Fjäll. Hier gibt es keinen richtigen Trail, nur Wegmarkierungen für die Winterroute. Entsprechend nass ist das Gelände. Aber an nasse Füße habe ich mittlerweile gewöhnt. An einen Tag mit trockenen Schuhen kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern.
Hinter mir beobachte ich wie sich die Wolken zusammen zusammenziehen. Es donnert. Ich schaffe es gerade so dem Gewitter zu entkommen. Meine Weggefährten haben wohl nicht so viel Glück. Ich laufe noch bis nach Sonnenuntergang und schlage dann mein Lager auf.

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Nasse Füße

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