Nasse Füße

6. - 10. August, Gäddede - Hemavan

Gut erholt wache ich auf. Ich frühstücke und lasse mir lange Zeit bis ich mein Zelt zusammenpacke. Gemächlich wandere ich über das Fjäll bis der Weg steil bergauf führt. Wie immer fühle ich mich nach einem Pausentag eher müde als erholt. Richtig fit fühle ich mich meist erst am zweiten Tag.
Am Scheitelpunkt der Anhöhe steht eine Schutzhütte. Dort treffe ich auf Franz. Franz ist aus Polen angereist und ist auf dem Weg von Gäddede nach Abisko. Wir verstehen uns und beschließen ein paar Kilometer gemeinsam weiterzuwandern.

Franz ist schwer bepackt. Er hat die gesamte Verpflegung für einen Monat aus Polen importiert. Von Stockholm aus wollte er Versorgungspakete an verschiedene Stationen entlang des Weges schicke. Das hat leider nicht geklappt und nun schleppt er seinen schweren Rucksack tapfer und schwitzend über Stock und Stein. Als wir aus dem Fjäll absteigen eröffnet sich eine fantastische Aussicht auf die Berge. Wir vermuten dass sich in ungefähr 100 km Entfernung bereits Teile der Bergkette entlang des Kungsleden erkennen lassen. Im Tal machen wir zusammen Mittagspause und verabschieden uns dann. Ich muss weiter. Mal wieder habe ich meine Verpflegung sehr knapp kalkuliert.

Zunächst folge ich einem Singletrail, dann wird es wieder nass und sumpfig. Das Stapfen durch das nasse Gras ist anstrengend. Bei jedem Schritt sinke ich ein und muss dann wiederum den Fuß aus dem Matsch ziehen. Ich habe mir für derartige Passagen eine sicherlich kurios anmutende Gehtechnik angewöhnt. Breitbeinig, mit leicht angewinkelten Knien und den Oberkörper nach vorne geneigt, fühle ich mich als ob ich gerade einen Saloon betrete. Die Hände habe ich dabei nicht am Holster sondern in den Schlingen meiner Trekking Stöcke.

Als es dunkel wird finde ich einen weichen moosigen Zeltplatz. Ich löffele meinen kalten Couscous und krieche dann in meinen warmen Quilt.

Am nächsten Morgen schlüpfe ich in die immer nassen Socken und Schuhe. Mein Weg führt mich wieder bergauf. Ich bin froh als ich den Aufstieg hinter mich gebracht habe. Die restliche Strecke bis nach Klimpfjäll vergeht wie im Flug. In der größeren Tankstelle versorge ich mich für die kommenden drei Tage. Dann besuche ich das nahe italienische Restaurant. Eine Pizza macht mich nicht satt. Also bestelle ich eine zusätzliche Portion Elch Bolognese. Der Geschmack ist erfrischend anders. Ein bisschen süßlicher als herkömmliche Bolognese mit einer interessanten eigenen Note. Ich notiere das Gericht als eines der Highlights meiner bislang kulinarisch eher einseitigen Reise.

Mit vollem Magen und Rucksack steige ich wieder hinauf in das Fjäll. Der Weg ist sandig und angenehm zu gehen. Die schönen Ausblicke nehmen mich vollends ein und ich verpasse viel von meinem Hörbuch. Vollends zufrieden von dem gelungen Tag schlafe ich die ganze Nacht durch.

Am Morgen drückt mein linkes Schienbein. Vorsichtig setze ich Fuß vor Fuß und versuche den dumpfen Schmerz zu lokalisieren. Dann tue ich den Schmerz als Morgenmüdigkeit ab und versuche mich abzulenken.
Mittags fängt es an zu regen und ich suche Schutz in einer Rasthütte. Ich öffne die Türe und erschrecke mich fürchterlich. Zwei nackte Männer begrüßen mich. Immerhin sind sie nicht vollends nackt, sondern tragen Boxershorts. Nachdem der erste Schreck abgeklungen is winken sie mich in die feuchtwarme Stube.
Die beiden sind zum Angeln in der Gegend und wurden wie ich vom Regen überrascht. Ihre Klamotten trocknen über den Kamin. Sie laden mich ein zu Whisky und Wein und ich probiere getrocknetes Schneehuhn. Während wir das Essen teilen, lerne ich viel über das Fischen.

Für das hiesige Naturschutzgebiet werden jedes Jahr nur 100 Genehmigungen zum Fischen ausgegeben. Normales Angeln ist nicht erlaubt, nur das Fliegenfischen. Beigeistert erzählen sie an welchen Stellen man sich am besten positioniert und welche Köder funktionieren. Je nach Jahreszeit haben die Fische auf andere Insekten Appetit. Als Anhaltspunkt dient der Bauchinhalt der Fische.

Unvermittelt legen sich die beiden zum Mittagsschlaf derweil ich noch auf meinem Stuhl sitze. Ich beschließe dass Schlafen eine gute Idee ist und lege mich auf dem Dachstuhl auf eine Matratze. Als ich wieder aufwache sind auch die Schweden wach. Sie staunen nicht schlecht als ich mir einen Rock anziehe. Nun kann ich endlich den Regenrock ausprobieren, den Alex für mich genäht hat. Drauf habe ich mich schon die letzten Wochen gefreut. Der Rock wiegt nur 42 Gramm. Hoffentlich ist er nicht nur leicht sonder hält mich auch trocken. Frohen Mutes verabschiede ich mich in den Regen. Ich stapfe durch das hüfthohe Gras und verliere bald den Weg. Durch Gestrüpp kämpfe ich mich zurück zum Trail. Die Nässe kommt von allen Seiten, aber nass sind nur meine Füße und Unterschenkel. Der Rock funktioniert bestens und ich bleibe angenehm warm und trocken. Der dumpfe Schmerz im Schienbein ist auch vergangen. Die lange Mittagspause hat wohl Wunder gewirkt.

Am Abend nutze ich eine kurze Trockenphase und baue schnell mein Zelt auf. In der Nacht weckt mich das Prassen des Regen. Ich suche nach den Ohrenstöpsel und bemerke dass meine Luftmatratze in einer Pfütze schwimmt. Erst vermute ich ein Loch im Zeltboden, finde dann aber die eigentliche Quelle der Wassermassen. Ich habe den Zeltboden nicht richtig eingehängt und ein Rinnsal hat sich einen Weg in mein Zelt gesucht. Ich verfluche meinen Fehler und hänge den Zeltboden ein. Dann sauge ich das Wasser mühsam mit meinem kleinen Mikrofasertuch auf bis der Tümpel ausgetrocknet ist. Behutsam achte ich darauf dass mein Daunenquilt trocken bleibt. Nach getaner Arbeit stecke ich mir die Ohrstöpsel in die Ohren und schlafe bald wieder ein.

Am Morgen hat es aufgehört zu regnen. Wider aller Erwartungen ist mein Quilt tatsächlich trocken geblieben. Meine Isomatte ist es nicht. Ich nutze die Regenpause und packe schnell zusammen. Wie schon die letzten Tage schlüpfe ich in meine nassen Socken und Schuhe und mache mich dann auf den Weg. Schon bald fängt es wieder an zu regnen. Der Weg ist komplett überwuchert und es ist mühsam den Weg zu finden. Stoisch stapfe ich voran. Gegen Mittag erreiche ich eine Schotterstraße. Als sich die Sonne kurz blicken lässt hänge ich meine Isomatte zum trocknen.

Ich prüfe die Strecke. Bis Hemavan werde ich nun 55 Kilometer der unbefestigten Schotterstraße folgen. Die Straße ist gesäumt von Wald. Auf der rechten Seite verlaufen Stromleitungen für die abgelegenen Holzhütten, an denen ich ab und an vorbeilaufe. Ich höre das Hörbuch „Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt“ von Haruki Murakami. Die herrlich skurrile Geschichte lässt die Stunden vergehen. Der Höhepunkt des Tages sind zwei Elche die nur wenige Meter vor mir die Straße kreuzen.

Am Abend finde ich keinen Schlafplatz. Die Straße führt entlang eines Sees. Links ist das Ufer. Auf der rechten Seite geht es steil bergauf und die flachen Stellen sind bebaut oder eingezäunt. Es wird immer später. Aus Verzweiflung möchte ich schon klingeln und fragen ob ich im Garten mein Zelt aufschlagen darf. Aber das Haus meiner Wahl hat keine Klingel. Wieso auch sollten hier die Häuser Klingeln haben. Wer würde sich schon hierher verirren? Ich laufe immer weiter und es wird immer dunkler. Immernoch regnet es. Irgendwann klettere ich einen hüfthoch bewachsenen Hang hinauf und finde eine kleine nicht allzu abschüssige Fläche. Das Gras ist hier bereits plattgedrückt, ob von Tieren oder einem anderen Wanderer weiß ich nicht. Jedenfalls stelle ich hier mehr schlecht als recht mein Zelt auf. Ich bin heute 55 Kilometer gelaufen und fix und fertig. Zu allem Überdruss schütte ich meinen kalten Bulgur mit Zitronen Dill Soße über die feuchte Isomatte. Resigniert löffele ich mein Abendessen aus der wabenartigen Struktur meiner Schlafunterlage und lege mich dann ohne die Zähne zu putzen schlafen.

Am Morgen regnet es noch immer aber immerhin sind es nur noch 20 km bis nach Hemavan. Ich esse meine letzten Energieriegel und breche auf. Ohne Pause laufe ich durch den Regen bis zum Ort. Ich checke ein im Fjällcenter Hemavan. Pausentag! Den habe ich nötig.

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